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«Buddha boomt» - in Basel

Vom Stillsitzen und Schwitzen. Zwei Basler BuddhistInnen erzählen, wie sie seit rund 30 Jahren mit vergänglichem Glück umgehen. Dabei kommen auch heikle Themen auf den Tisch.

INFOREL Interview-Serie
Mit Patrick, Mitglied Rabten Shaedrup Ling und Cornelia, Mitglied Kalyana Mitta

Interview zum Buddhismus Teil 3

Nach den Gesprächen mit zwei BuddhistInnen aus Basel wird deutlich, was Religionswissenschaftlerin Prof.in Renger bereits erklärte: «Es gibt nicht den Buddhismus». Nachzulesen in: «Buddha boomt».

Inforel: Cornelia und Patrick – Wie seid Ihr BuddhistInnen geworden? Und was macht den Buddhismus für euch attraktiv?

Cornelia: Ich habe nie an eine Gottesperson geglaubt. Aber ich hatte immer spirituelle Bedürfnisse. Ich bin zufällig mit Mitte 20 zum Buddhismus gekommen, der mich einfach angesprochen hat. Die Lehren sind rational und gleichzeitig herzvoll. Ich muss zugeben, ich war von Anfang an ein ‚happy meditator‘ – also mir brachte die Konzentrationsübung selten Frustration.

Patrick: Mit 22 Jahren bin ich nach Indien und Nepal gereist, wo ich Einblick in die Lehren Buddhas bekam. Mich hat damals die Klarheit angesprochen. Es war dann aber noch ein langer, innerer Weg, bis ich mich darauf einlassen konnte. Heute gibt mir der Buddhismus nachvollziehbare Antworten auf die Fragen des Lebens. Er trägt dem alltäglichen Leben mit seinen Problemen Rechnung und zeigt gleichzeitig auch einen Weg, der über diese Zustände hinaus führt.

Meditation macht also «happy», Cornelia? Was bedeutet denn Glück in euren Traditionen?

Cornelia: Kurz gesagt, bei der Vipassana-Meditation, die wir in Kalyana Mitta praktizieren, geschieht vertiefte Achtsamkeit, Erkenntnis und schliesslich Befreiung. Dabei geht es unter anderem um die Erkenntnis des Leidens. Man erkennt: Alle menschlichen Erfahrungen tragen Leid inne, weil jede Erfahrung vergänglich ist. Ein einfaches Beispiel: Ich friere, also ziehe ich mich warm an. Daraufhin fange ich an, zu schwitzen und wünsche mir die Kälte zurück. Wir täuschen uns im Alltag, wenn wir annehmen, ein bestimmter Zustand kann uns Glück bringen. Das ist nur temporäres Glück. Wirkliches Glück bedeutet: Alle menschlichen, leidvollen Zustände zu akzeptieren.

Patrick: Neben offensichtlichem Leid beschreibt der Buddhismus weitere Ebenen, wie das Leid der Veränderung; beispielsweise das vergängliche Wohlbefinden beim Essen schmackhafter Speisen. Allen Arten von Leid liegt das allumfassende Leid zugrunde. Durch Handlungen und Verblendungen gehen wir unfrei von einer Existenz zur nächsten. Wer durch Erkenntnis der letztlichen Wirklichkeit diesen Daseinskreislauf durchbricht, erlangt individuelle Befreiung, was aber noch nicht vollkommene Erleuchtung bedeutet. Erst wer auch alle Eindrücke der Verblendungen beseitigt hat, wird ein Buddha und kann so in effizienter Weise allen Wesen helfen. Ich befinde mich im Spannungsfeld des Wunsches nach gegenwärtigem weltlichem Glück und den langfristigen Zielen, wie sie im Buddhismus gelehrt werden. Im Alltag versuche ich, die langfristigen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren und mich an den kleinen, vergänglichen Glücksmomenten dennoch zu erfreuen.

Der Begriff «Leiden» ist also präsent im Nachdenken über das Glück. Was hilft bei leidvollen Erfahrungen?

Cornelia: Im Buddhismus geht es darum, nichts erreichen zu wollen, sondern einfach zu erleben. Auch die leidvollen Erfahrungen. Daraus ergibt sich Zufriedenheit und Gelassenheit. Aber das muss man üben. Wir sind es nicht gewöhnt, uns auf direkte Erfahrung ohne Konzepte zu konzentrieren. Dafür gehe ich regelmässig zu Schweige-Retreats. Das ist eine gute Geistesschulung, weil hier weniger Ablenkung von aussen herrscht.

Meditation und Schweigen. Patrick, was sind zentrale Elemente deiner buddhistischen Praxis?

Patrick: Ich studiere und praktiziere die Lehren Buddhas der Gelug-Tradition – eine der grossen Schulen des tibetischen Buddhismus. Mir ist die ununterbrochene Übertragung der Lehren sehr wichtig, die auf Buddha Schakyamuni zurückgehen und über indische und tibetische Meister bis in unsere Zeit in authentischer Weise weitergegeben wurden. In meiner täglichen Praxis wechseln sich konzentrative und analytische Phasen der Meditation ab, die von verschiedenen Gebeten und Visualisierungen begleitet und unterstützt werden. Damit versuche ich, heilsame Geistesfaktoren zu stärken und negative zu beseitigen. In unserer Studiengruppe in Basel studieren wir zudem einen der zahlreichen überlieferten Texte; beispielsweise einen Lam-Rim-Text, der den gesamten Weg bis zur Erleuchtung in stufenweiser Art zusammenfasst.

Und Erfahrung, wie ich im Interview mit Religionswissenschaftlerin Renger gelernt habe, ist ein Schlüsselbegriff im Buddhismus. Cornelia, welche Rolle spielen buddhistische Traditionslinien bei Dir?

Cornelia: Man könnte unsere Strömung als typisch «westlichen Buddhismus» bezeichnen, was jedoch nicht automatisch mit Oberflächlichkeit gleichzusetzen ist. Wir praktizieren vor allem die Vipassana-Meditation (Einsichtsmeditation) und beschäftigen uns mit Überlieferung und Übertragung traditioneller Texte. Hauptsächlich berufen wir uns auf die Theravada-Tradition. Integrieren aber auch andere Traditionen, wie zum Beispiel das tibetische Lam-Rim oder die Bodhicitta-Lehren. Ein weiterer wichtiger Bestandteil unserer Praxis sind die Schweigeretreats. Unsere Lehrer und Lehrerinnen bieten auch alltagsbegleitende Praktiken an – weg vom Meditationskissen. Uns ist beides wichtig: der Rückzug zu sich selbst und der Alltag in Kontakt mit Mitmenschen.

Welchen Vorurteilen gegenüber dem Buddhismus begegnet Ihr?

Patrick: Das korrekte Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler ist im Buddhismus sehr wichtig – und das in allen Traditionen. Zu Beginn dachte ich, man solle sich einem Lehrer blindlings anvertrauen. Damit hatte ich sehr grosse Mühe. In den grossen Schriften heisst es, dass es nicht um blindes Anvertrauen geht, wohl aber um Vertrauen. Und diesem Vertrauen geht eine ausführliche Prüfung des Lehrers voraus.

Cornelia: Es herrscht das positive Vorurteil, alle praktizierenden BuddhistInnen seien immer friedlich und ohne Fehler. In Anbetracht der Machtmissbrauchsfälle in buddhistischen Gemeinschaften haben wir uns mit dem Thema auseinandergesetzt. Es muss hier, meiner Ansicht nach, vor allem auf das angemessene Lehrer-Schüler-Verhältnis geachtet werden. Präventiv haben wir ethische Massstäbe für unser Zentrum festgelegt und eine Anlaufstelle etabliert, bei der man sich melden kann.

Wie wird das Thema Gewalt in den buddhistischen Lehren behandelt?

Patrick: Beim Auftreten von Gewalt zwischen zwei Personen beispielsweise sind beide Seiten zu berücksichtigen. Jene Person, die Leid erfährt, erschöpft durch diese Erfahrung negatives Potenzial. Jene Person aber, die das Leiden verursacht, sammelt es an. So wäre es auf jeden Fall wünschenswert, wenn die Ausübung von Gewalt augenblicklich beendet werden könnte, weil es kurzfristig für den Leidtragenden Leiden und langfristig für den Gewaltausübenden ebenfalls Leiden bringt. So erklären es auch buddhistische Schriften.

Mit welchem Missverständnis möchtet Ihr ein für alle Mal aufräumen?

Patrick: Für viele ist Meditation gleichbedeutend mit Entspannung oder Nichtstun. Stillsitzen ist zwar hilfreich dabei, aber nicht der Hauptzweck. Die hauptsächliche Aktivität während der Meditation findet im Geist statt. Innerhalb der zwei Arten von Meditation hat die konzentrative zum Ziel, den Geist ohne Ablenkung auf ein Objekt der Meditation gerichtet zu halten. Zum geeigneten Werkzeug gewandelt, kann sich dann der Geist in der anderen Art üben, der analytischen Meditation, bei der man sich beispielsweise mit der Wirklichkeit beschäftigt und wie wir sie wahrnehmen. «Sind die Dinge wirklich so, wie sie erscheinen?» Meditation ist also eine konzentrierte Beschäftigung des Geistes, die eine Gewöhnung an täuschungsfreie und heilsame Geisteszustände bedeutet.

Cornelia: Mir begegnet immer wieder das Missverständnis, bei Meditation solle man das Denken abstellen. Der Geist denkt zu jeder Zeit. Alles andere wäre ein gefährlich komatöser Zustand. Es geht meiner Ansicht nach bei Meditation darum, weise und heilsam mit den eigenen Gedanken umzugehen. Und ein weiteres Missverständnis kursiert im Zusammenhang mit Meditation: der Vorwurf der Selbstbezogenheit bzw. des Egoismus. BuddhistInnen würden sich nur mit sich selbst beschäftigen und ziehen sich aus der Verantwortung zum Mitmenschen. Wenn wir aber meditieren, entwickeln wir Mitgefühl für alle fühlenden Wesen. Dann kann es nicht egal sein, was los ist in der Welt. Mir ist es ein Anliegen, auch im Miteinander die buddhistischen Lehren wirksam zu machen.

Zu den Personen

Patrick
geboren 1971, wohnhaft in Basel, Mitglied der Tibetischen Studiengruppe Basel (Mehr Infos hier).

Cornelia
geboren 1960, wohnhaft in Basel, Mitgründerin des Meditationszentrum Kalyana Mitta (Mehr Infos hier).

Mehr Infos zum Buddhismus allgemein hier.

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